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> 85 Jahre
 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Februar 1923 wurde an der Neudammer Knabenschule (Einweihung Oktober 1902) eine Mittelschule für Mädchen und Jungen eingeweiht. Zu ihrem 10jährigen Bestehen 1933 gab es eine große Feier und eine schöne Festschrift, in der alle Namen der Mittelschul-Abgänger aufgeführt wurden, jahrgangsweise. Für die Zeit von 1933 bis 1944 ist das leider nicht möglich, denn es gibt keine Unterlagen mehr darüber. Einige Erinnerungen von Schülern dieser Jahre haben mir bei der Zusammenstellung geholfen - leider zu wenige. Ich selbst kam erst 1939 in die Mittelschule, das Ende der Schulzeit im Januar 1945 war für uns alle dramatisch. Alle, die wir unsere Mittelschule besuchten, auch die Jungen in der Knabenschule, werden sich an das schöne solide Gebäude erinnern, in dem es viele Klassenzimmer, einen Raum für Physik- und Chemieunterricht, einen Zeichensaal, ein Lehrmittelzimmer sowie das Lehrer-Zimmer und das Rektoratsbüro gab - das naturgemäß etwas gefürchtet wurde.

Die Holzböden in den Klassenräumen wurden in den großen Ferien geölt, der Geruch war ein ganz besonderer Schulgeruch im ganzen Haus. Schlimm war es, wenn man ausrutschte, die Ölflecken waren aus der Kleidung schwer zu entfernen. Die Steinstufen der Treppen ließen das Geklapper der vielen Kinderfüße in den Pausen laut hallen und wir wurden oft gemahnt, langsam und leise zu laufen. In der dritten Etage der Knabenschule war eine große Aula, in der die Festveranstaltungen stattfanden, z.B. in jedem Jahr die feierliche Verabschiedung der Schulabgänger, aber auch Schulkonzerte und Feierstunden zu mancherlei Anlässen. Der Schulchor wurde am Flügel entweder von einem Musiklehrer oder einer Schülerin begleitet, Im Kellergeschoß befanden sich die Koksheizung, die Wohnung des Hausmeisters und eine Warmbadeanstalt mit Wannen- und Brausebädern für Männer und Frauen, die gegen ein geringes Entgelt von der Bevölkerung genutzt werden konnte. Es gab damals nur in wenigen Häusern Bäder. Die Toiletten für die Schulkinder waren in einem kleinen Gebäude auf dem hinteren Teil des Schulhofes. Auf dem Hof der Knabenschule hatte auch die Feuerwehr ihr Domizil und in deren Gebäuden waren Motorspritzen, Fahrzeuge und Feuerlöschgeräte untergebracht. Dazu gehörte ein Steigerturm, der für Übungszwecke und für das trocknen der Schläuche genutzt wurde. Wenn die Feuerwehr zur Brandbekämpfung aus- oder einrückte, so war das in den Pausen besonders für die Jungen ein Ereignis. An dem Zaun, der den Schulhof begrenzte, wurden auf der Seite zur Markgrafenstraße hin zu Beginn des Krieges Maulbeerbäume angepflanzt. Die Blätter wurden für die Seidenraupenzucht, die sich in der Aula befand, benötigt. Die gesponnene Seide wurde zu dieser Zeit dringend für Fallschirme gebraucht.

Zum Sport (Leibesübungen, Gymnastik, Turnen) mussten wir in die 1928 erbaute Turnhalle in der Ostmärkerstraße am See umziehen. Dort wurden auch Schulveranstaltungen wie z.B. die Feier zum 10jährigen Bestehen der Mittelschule durchgeführt. Die Halle hatte eine Länge von 110m und eine Breite von 36m sowie eine Höhe über alles von 20m. Auf dem großen Turnplatz davor waren Anlagen zum Laufen, Springen, Ballspielen und auch ein Platz zum üben von exakten Aufmärschen. Leider ist diese schöne Halle 1945 abgebrannt. An viele Lehrer können wir uns noch gut erinnern. Der Rektor der Mittelschule bereits vor 1933 bis zu seinem Tod im Amt, war Herr Paul Klinger, ihm folgte Konrektor Müller, Rudolf Kain (später Hain), Kurt Hellwig, Frau Margarethe Großschupff, Frl. Elfriede Eggert, Frl. Fischer und Frl. von Golaschewskie. Der Rektor der Knabenschule war anfangs Herr Wilhelm Sonnenberger, ihm folgte Konrektor Paul Sameith. Es gab die Lehrer Gustav Büttner, Fritz Lange, Otto-Walter Bierbach, Frl. Giese, Frl. Ursula Bauer und noch viele andere.

Obwohl alle Schülerinnen und Schüler mit mehr oder weniger Begeisterung lernten, waren doch die Ergebnisse sehr gut. Ich kann mich nicht an Sitzenbleiber erinnern. Alle wussten, was ein guter Schulabschluß für die künftige Berufsausbildung bedeutete. Sehr gute Schüler hatten die Möglichkeit, in Küstrin das Lyzeum bzw. Gymnasium bis zum Abitur zu besuchen. Auch wenn wir unsere Lehrer und Lehrerinnen respektierten und achteten, gab es auch Schabernack und Späße, die aber niemand weh taten. Sollte aber doch jemand mal über gewisse Grenzen gesprungen sein, so war der Rohrstock nicht weit! Zusätzliche Aufgaben brachte das Heilkräutersammeln zur Kriegszeit. Da wurde am Wochenende die ganze Familie eingespannt. Das Ernteergebnis wurde am Montag zum trocknen auf dem Schulboden ausgebreitet und musste an den folgenden Tagen gewendet werden. Wie wertvoll unsere Sammlung war, haben wir nie erfahren.
Eine weitere wichtige Aufgabe war im Sommer das Kartoffelkäfersammeln auf den großen Kartoffelfeldern in der ländlichen Umgebung von Neudamm. Diese Käfer waren zu einer großen Plage für die Landwirtschaft geworden. Die letzten Schuljahre waren beeinflusst durch die Kriegsereignisse. Die Klassen wurden größer durch evakuierte Kinder aus Berlin und anderen gefährdeten Gebieten, wo leider die Bevölkerung unter Bombardierungen leiden musste. Lehrer wurden zum Kriegsdienst eingezogen, deshalb mussten Klassen kombiniert werden. Auch die 15- und 16jährigen Jungen wurden als Flakhelfer eingezogen, viele kamen nie wieder. Daß sie den "Heldentod" starben, hat die Eltern nicht getröstet und uns Jugendliche sehr erschüttert.
Ende 1944 wurde unsere Schule geräumt, an Unterricht war nicht mehr zu denken. Die Schule diente nun für Flüchtlinge und Vertriebene als Unterkunft. Als die Russen Neudamm überrollten, wurde die Schule Lazarett für verwundete sowjetische Soldaten.
Was in den folgenden Jahren in der Schule geschah, weiß ich nicht. Aber heute ist sie wieder eine gepflegte Schule, in der viele polnische Kinder fröhlich für ihre Zukunft lernen. Ihr Aussehen hat sich etwas verändert, der freie Raum zwischen den vorgebauten Treppenhäusern wurde zugebaut, weil Klassenräume fehlten. Und an der früheren Knabenschulseite wurde eine große Turnhalle angebaut. Und so geht auch das Leben für eine alte Schule weiter.

Anne Kallé