Es war schon ein
Privileg, die Mittelschule in Neudamm/NM (heute Debno) besuchen zu
dürfen.
Zu Anfang des Krieges ging alles noch seinen gewohnten Gang. Neue
Klassenkameraden, neue Lehrer, neues lernen und neue Methoden, daran
musste man sich erst gewöhnen. Unser Klassenlehrer war Herr Hellwig,
den ich sehr schätzte, da er den Unterrichtsstoff verständlich
brachte und er mir 1944 Nachhilfeunterricht in Mathematik gab da ich
9 Wochen aus Krankheitsgründen am Schulunterricht nicht teilnehmen
konnte. Diese 9 Wochen Krankheit , verursacht durch eine Mittelohrvereiterung,
bewahrten mich vor dem Osteinsatz (Panzergräben ausheben u.s.w.).
Als einziger wurde ich in Küstrin von einem Stabsarzt bei der
Musterung zurück gestellt. Fräulein von Golaschewskie war
unsere Englisch-Lehrerin und ein introvertierter Mensch, der vollkommen
der nationalsozialistischen Doktrin verfallen war. Vor versammelter
Klasse musste ich einmal nach vorn kommen und mit ihr den richtigen
Hitlergruß "einüben"! Als Aufgabe stellte sie
u.a. die Übersetzung der englischsprachigen Zeitung "Adler"
in die deutsche Sprache.. Dann gab es noch den Konrektor Müller,
den die meisten der Schüler nicht leiden konnten, weil er seltsame
Ansichten vertrat und züchtigend den Unterricht "betrieb".
Während einer Unterrichtsstunde stieß er den Mitschüler
Nicäus vom Domänenhof - er hatte eine Aufgabe nicht verstanden
- gegen den Waschschüsselständer mit gefülltem Wassereimer,
der dann umfiel und eine kleine Überschwemmung verursachte. Für
alle Schüler eine unerwartete Belustigung. Deutsch-Lehrerin war
Frau Großschupff, ziemlich groß und schlank geraten und
für meine kindlichen Begriffe hatte sie altmodische Ansichten.
Sie war mir nicht wohlgesonnen, da sie in der Soldiner-Straße
43 wohnte und unsere Wohnung über ihrer lag und nach ihrer Meinung
mein kleiner Bruder mit seinem "Getrappel" ihre Ruhe störte.
Beliebt und interessant waren immer die Physik- und Chemiestunden
im Klassenraum mit den ansteigenden Bankreihen. Bei der Demonstration
von Versuchen zerbarst schon mal ein Glaskolben über dem Bunsenbrenner,
was natürlich allgemeine Heiterkeit auslöste. Wir Jungen
experimentierten auch schon mal allein, um z.B. Stinkbombenflüssigkeit
zu erzeugen. Wurden wir dabei überrascht, weil der Lehrer vorzeitig
in den Klassenraum kam, so ergoß sich die Mixtur meistens über
die Bänke. Zum Turnunterricht marschierten wir zur großen
Turnhalle am See (1945 abgebrannt), wo das Geräteturnen viel
Spaß machte. Es gab auch Ausscheidungs-Wettkämpfe in den
Leichtathletik-Disziplinen, wobei ich einmal nach Küstrin zu
einem Landes-Wettkampf durfte. Vor dem eigentlichen Unterrichtsbeginn
musste immer erst ein "nationales Bekenntnislied" gesungen
werden. Anschließend wurden anhand einer großen aufgezogenen
Landkarte die Frontlinien und Siege der Deutschen Wehrmacht aufgezeigt
und erklärt. Während der Unterrichtspausen spielten wir
Jungen auf dem Schulhof unter den Bäumen mit unseren Taschenmessern
"Länderteilen". Man musste das Messer möglichst
so werfen, dass die Klinge den Erdboden traf, um den Gegenspielern
möglichst viel Land abschneiden zu können. Später gab
es anstelle von Hausaufgaben die Pflicht, Heilkräuter zu sammeln.
Die wurden dann auf dem Schulboden ausgelegt und getrocknet. Sollte
ein Schüler zu wenig gesammelt haben, so wurde er gerügt
und musste weiter sammeln. Bald danach wurden die
ersten Schüler zu den Flakhelfern gezogen (bereits ab 14 Jahren),
und die an sich "beschau-
liche" Schulzeit ging dann im Dezember 1944 bedingt durch die
Kriegsereignisse zu Ende.
Karl-Heinz Knöschke