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Der Anlaß zum Bau dieser ehemals privaten Eisenbahnstrecke war, den Kreisen Königsberg/Neumark, Soldin und Pyritz eine Schienenverbindung mit den an ihren Grenzen sich hinziehenden Staats-Eisenbahnen zu geben. Das Anlagenkapital betrug 6 030 000 Mark, wobei der Staat 1 000 000 und die Provinzen Pommern und Brandenburg je 639 000 Mark dazu gaben. Die Bahnanlagen wurden durch den Unternehmer Hermann Bachstein errichtet, der sie auch am 31.8.1882 eröffnete. Die Direktion und die Werkstätten befanden sich in Soldin, ihr erster Betriebsdirektor war der Baumeister Reiche. 10 Jahre später ging die St.C.E. in den Besitz einer Aktiengesellschaft über, die damit 1899 ca. 116 km (Normalspur) Streckenlänge in ihrem Besitz hatte. Im einzelnen waren es die Bahnstrecken "Stargard - Küstrin", "Jädickendorf - Pyritz" und "Glasow - Arnswalde". Der Fahrzeugpark bestand zu dieser Zeit aus 11 B- und 11 C-Tenderlokomotiven. Fünf Stück der B-Lokomotiven wurden von der Firma August Borsig, die ihre
Fabriken in Berlin-Moabit, am Oranienburger Tor und im Vorort Tegel hatte, geliefert. Die restlichen B-Dampfloks kamen aus der Fabrik Hohenzollern in Düsseldorf und wurden für den Güterverkehr eingesetzt. Weitere C-Maschinen bauten die Firmen Jung-Jungenthal, Schwartzkopff und Egestorff. Der rollende Wagenpark der St.C.E. bestand aus 13 Pack/Post-, 35 Personenwagen, 165 bedeckten und 176 offenen Güterwagen. Vierzig Wagen dienten dem Vieh-, Holz- und Kohlentransport und 10 Rungenwagen gehörten ebenfalls zum Bestand der "Stargard-Cüstriner Eisenbahn". Sehr interessant waren die Dampflokomotiven mit der Achsfolge B, die von Borsig stammten. Sie waren als Personenzuglokomotiven konzipiert worden und zeigten für die damalige Zeit erstaunliche Leistungen. Auf der Strecke Küstrin - Pyritz, teilweise mit Steigungen 1:100 auf 2000m Länge, zogen sie gemischte Züge mit 36 Achsen (ca. 220t Gewicht) mit immerhin 30km/std. Personenzüge mit 18 Achsen und 108t Gewicht erreichten eine Geschwindigkeit von 40km/std.

Am 1. April 1903 wurde die "Stargard-Cüstriner Eisenbahn" (Kursbuch Nr. 116a) verstaatlicht und kam zur Preußischen Staatsbahn, die sie dann in die Königliche Eisenbahn-Direktion (KED) Bromberg einordnete. Durch die Verstaatlichung wurde die Höchstgeschwindigkeit der Züge auf 50km/std. (früher 40km/std.) erhöht, außerdem wurde die preußische Lokgattung G 4 (spätere Baureihe 53.71, 76) als erste Staatsbahnlok auf der Bahn eingesetzt. Die kleineren Maschinen waren gegenüber der großen G 4 weit besser ausgenutzt als die Staatsbahnloks, die auf dieser Eisenbahnlinie nicht ihre volle Leistung zeigen konnten. Nach der Verstaatlichung beförderte die Bahn wesentlich mehr Durchgangsgüter und bekam aus diesem Grund in den späteren Jahren preußische G 8 (spätere BR 55.16-22) und G 10 (spätere BR 57.10-35), S 3 (BR 13.0) und P 4 (BR 36.0-4) zugewiesen. - Interessant war auch der Ausgangsort der St.C.E., nämlich Küstrin. Eine große Bedeutung als Eisenbahnknotenpunkt erhielt die Stadt, als Mitte des 19. Jahrhunderts (Oktober 1857) die Eisenbahnstrecke Berlin-Frankfurt/Oder-Küstrin-Kreuz eröffnet wurde. Doch viele Jahre hindurch genoß die Bahn noch immer nicht das volle Vertrauen der Bevölkerung. So befuhr ein Pferdewagen jeden Dienstag und Freitag mit 2 vollbeladenen Wagen die Strecke Frankfurt/Oder-Küstrin-Landsberg/W. mit Fracht der Anwohner. Man war der Ansicht, dass ein Transport durch den Fuhrmann, den man schon lange als ehrlichen Bürger kannte, sicherer wäre, als mit der Bahn, denn dort waren ja ganz fremde Menschen beschäftigt, da konnte dann leicht etwas verschwinden.

Eine direkte Zugverbindung von Berlin nach Küstrin gab es 1857 noch nicht. Erst am 1.10.1867 wurde die Eisenbahnverbindung zur Hauptstadt Berlin fertig gestellt. 1877 erreichte eine zweite Bahnlinie Küstrin, nämlich die Strecke Stettin - Breslau. Weitere Eisenbahnverbindungen waren 1882 die "Stargard-Cüstriner Eisenbahn", die durch die Tuchmacherstadt Neudamm N/M nach Stargard in Pommern führte und 1896 die "Cüstrin-Sonnenburger" Bahn. Küstrin erhielt schon 1875/76 einen aus roten Backsteinen erbauten Hauptbahnhof (Küstrin-Neustadt), in dem sich fast alle Bahnen kreuzten. Durch sieben Eisenbahnverbindungen war der neue Bahnhof zu einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt geworden. Um alle Gleisanlagen unterbringen zu können, errichtete man einen Turmbahnhof, der zur damaligen Zeit wohl einmalig in Deutschland war. Alle Gleise die übereinander angeordnet waren, erhielten Fußgängerverbindungen untereinander.

Einer der Hauptgründe für die Errichtung der Stargard-Cüstriner Eisenbahn war der Anschluß der aufstrebenden Stadt Neudamm N/M an das Verkehrsnetz. Außerdem sollte den landwirtschaftlichen Betrieben die Möglichkeit gegeben werden, ihre Produkte schnellstens zu den Kunden zu bringen. Hier sei kurz der Streckenverlauf von Küstrin-Neustadt über Neudamm und weiter nach Stargard in Pommern geschildert. Sobald der Zug Küstrin-Neustadt verlässt, durchfährt er dichte Wälder (Tamseler Busch), in der Nähe des Schlosses Tamsel vorbei und erreicht dann die Doppelstation Wilkersdorf-Zorndorf. Um beiden Ortschaften gerecht zu werden,
hat die Bahnverwaltung den Bahnhof genau zwischen beiden Dörfern errichtet. Bekannter als der Ort Wilkersdorf dürfte allerdings Zorndorf sein. Hier fanden 1758 (7jähriger Krieg) große Kämpfe zwischen Preußischen und Russischen Truppen statt. Durch Zicher hindurch fährt der Zug an Neumannswalde/Große Mühle vorbei. Hier hat der Große Fritz vor der großen Schlacht von Zorndorf geruht. Über eine Stahlbrücke, die über das Flüßchen Mietzel führt, geht es weiter in Richtung Neudamm. Die Mietzel ist trotz ihres kurzen Laufes ein emsiges Flüßchen. In Darrmietzel und Quartschen drehte sie die Mühlräder, in Kutzdorf war sie treibende Kraft für ein Eisenwerk. Dieses Werk, auch Eisenhammer genannt, wurde bereits 1755 im Auftrage Friedrich des Großen errichtet.

Bereits hinter Zicher haben sich die Wälder gelichtet und eine sandige, flache Landschaft zieht sich entlang des Bahnkörpers. Nach 18,45km erreicht nun der Zug die Stadt Neudamm. Vor erreichen der Station fährt er am großen Stellwerk vorbei, überquert einen Tunnelviadukt, durchfährt den Rangierbahnhof und läuft in den Bahnhof ein. Da Neudamm zu den mehrgleisigen Bahnhöfen gehörte, erhielt es ein zweietagiges Empfangsgebäude. Im Erdgeschoß befanden sich Diensträume für den Bahnhofsvorsteher, die Aufsicht und Weichensteller, die Bahnhofskasse, Fahrkartenausgabe, Gepäckabfertigung sowie Warteräume erster und zweiter Klasse und ein Restaurant-Ausschank. Die Wohnung im Obergeschoß war dem Bahnhofsvorsteher vorbehalten. Die Stadt Neudamm war wohl mit eine der größten Industrieorte der Neumark. Die vielseitigen Unternehmungen setzten sich zusammen aus 9 Tuch- und Hutfabriken, Holzverarbeitungsbetrieben, Ziegelsteinbrennereien, 2 Maschinenbaufirmen, einigen Zigarrenfabriken und obstverarbeitenden Industrien. Doch das bekannteste Unternehmen war der Verlag J. Neumann-Neudamm. Dieser Verlag gab mehrere Zeitungen heraus, so unter anderem die "Deutsche Jäger-Zeitung" und die "Deutsche Forst-Zeitung". Dadurch wurde der Ortsname dieser kleinen neumärkischen Stadt weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Naturgemäß war bei dieser Massierung von Industrieunternehmungen der Güteranfall für die Stargard-Cüstriner Eisenbahn sehr groß. Die schnelle Bahnbeförderung kam den Unternehmungen sehr zustatten. Die Erzeugnisse wurden schnell und bequem zu ihren Käufern gebracht. Auch benötigte die Industrie viele Kohlelieferungen, die die Bahn aus dem Senftenberger Kohlenrevier heranbrachte. - Zu Neudamm gehörte auch eine Bahnmeisterei, die den Streckenabschnitt Küstrin - Ringenwalde N/M betreute. Dafür standen ihr 2 Kolonnen mit je 12 Arbeitern zur Verfügung. Zur Arbeitsstelle kam man mit einem handangetriebenen Plattformwagen. Motordraisinen, wie sie später üblich waren, gab es damals noch nicht. -

Nachdem der Zug Neudamm verlassen hat, durchfährt er die ehemalige Bedarfshaltestelle
"Waldkater" und hat den nächsten Halt in Berneuchen. Bekannt wurde dieser Ort durch den "Berneuchener Kreis", der 1923 von dem ev. Theologen Wilhelm Stählin ins Leben gerufen wurde. Außerdem gab es in Berneuchen einen Abzweig nach Bornhofen der zu einer Ziegelbrennerei führte. Die nächste Bahnstation hieß Ringenwalde, und hier kam der Zug wieder in eine landwirtschaftlich genutzte Gegend. Es folgten die Orte Rosenthal, Rostin und die Ackerbaustadt Soldin. Hier befand sich der Sitz der Betriebsleitung der Stargard-Cüstriner Eisenbahn in einem dreietagigen Bahnhofsgebäude. Auch die Betriebswerkstatt und die Lokomotiven waren hier stationiert. Von Soldin aus führte eine Eisenbahnquerverbindung nach Landsberg/W. an die Hauptstrecke Berlin - Küstrin - Danzig - Königsberg/Pr. (Preußische Ostbahn). In Soldin wurden hauptsächlich landwirtschaftliche Produkte auf die Eisenbahn verladen.

Die Landschaft an der Bahnstrecke bleibt weiterhin flach und der Blick schweift über weite fruchtbare Felder bis er in Glasow einfährt. Hier zweigt eine Verbindung nach Arnswalde ab und hat dort Anschluß an die Strecke Stargard - Kreuz - Posen. Die Strecke von Glasow nach Berlinchen (früher Glasow-Berlinchener Eisenbahn, gegründet 31.10.1883) hat die St.C.E. 1892 angekauft und sie bis Arnswalde verlängert. Die Inbetriebnahme erfolgte am 7. August 1898. Von Glasow sind noch ca. 24km vom Zug der St.C.E. zurückzulegen bis er Pyritz erreicht. Die Stadt wurde von mittelalterlichen Gebäuden geprägt und hatte ca. 7000 Einwohner. Von Pyritz aus bestand eine Bahnabzweigung nach Jädickendorf, die Anschluß an die Strecke Stettin - Königsberg N/M - Küstrin - Breslau (Breslau-Schweidnitz-Freiburger Eisenbahn) hatte. Außerdem bestand von Jädickendorf aus auch eine direkte Eisenbahnverbindung über Wriezen/O. nach Berlin. Der Streckenabschnitt Pyritz - Jädickendorf (47km) gehörte ebenfalls zur St.C.E. Doch zurück nach Pyritz und dessen große landwirtschaftliche Umgebung. Die Landwirtschaft war auch die Voraussetzung für die Gründung der "Pyritzer Kreisbahn", die 1898 mit ca. 42km Länge eröffnet wurde. Sie führte von Pyritz nach Kl. Schönfeld und von Pyritz nach Plönzig. An Betriebsmitteln waren 1911 3 Dampflokomotiven, 4 Personen-, 2 Post- und 54 Güterwagen vorhanden. 1928 kamen eine weitere Dampflok und 4 Personenwagen hinzu. Interessant ist die Geschichte der Lok Nr. 2c (Bn2t-Lenzgattung c), die 1893 von Borsig gebaut wurde und zuerst auf der Stargard-Cüstriner Eisenbahn eingesetzt war. Nach der Verstaatlichung der St.C.E. und dem Einsatz von Staatsbahnmaschinen gab man ca. 1905 obige B-Tenderlok an die Pyritzer Kreisbahn ab. -

Aber weiter geht die Fahrt mit der St.C.E., bis die Stadt Stargard in Pommern erreicht ist. Hier ging die 98,35 km lange Strecke der Stargard-Cüstriner Eisenbahn zu Ende. Stargard war ein
Eisenbahnknotenpunkt, der Verbindungen nach Rostock, Stralsund, Stettin, Berlin, Danzig, Schneidemühl und Bromberg hatte. -

Der Überblick zeigt, dass das Viereck (in der Hauptsache die Neumark) zwischen Stettin - Stargard - Landsberg/W. - Küstrin - Arnswalde durch die Entstehung der Stargard-Cüstriner Eisenbahn wesentlich erschlossen werden konnte. Industrieorte wie z.B. Neudamm konnten erst dank der Eisenbahn ihre Fabriken wesentlich erweitern und ihren Umsatz vergrößern. Hinzu kam auch die Landwirtschaft, die nun ihre Produkte (z.B. die bekannten "Daberschen Speisekartoffeln") bis weit nach Berlin lieferte. Die Eisenbahn bedeutete für dieses Gebiet eine beträchtliche Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung.

Würde die St.C.E. heute noch bestehen, hätte sie im Jahr 2007 ihr 125jähriges Bestehen feiern können.

Eberhard Kunst