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Von Lehrer Gustav Grahlow+

Neudamm war immer eine Stadt der Turner. Bis 1933 gab es drei Turnvereine in Neudamm: den Männer-Turnverein, den Turnverein Eiche und den Turnverein Vater Jahn. In jedem der drei Vereine waren tüchtige Sportler, und es war immer ein großer Wetteifer um die besten Leistungen vorhanden. 1933 wurden die drei Vereine gleichgeschaltet, und es blieb nur der Männer-Turnverein bestehen, war er doch der älteste Verein und hatte die größte Turnhalle. Von dieser Turnhalle will ich nun berichten: Nach dem ersten Weltkrieg erwarb der Männer-Turnverein die Schweinewiese, die er allmählich zu einem Sportplatz gestaltete. Dazu war es nötig, daß diese Wiese, die oft überschwemmt war, aufgeschüttet wurde. Das nahm mehrere Jahre in Anspruch. Aber schließlich hatte man es geschafft, und so war Raum für Fußball- und Handballspiele. Um den Platz war eine Aschenbahn von 400m Länge. Aber noch fehlte eine Turnhalle. Man erwarb neben dem Sportplatz Gelände, um dort eine Halle zu errichten. Das bedurfte umfangreicher Vorarbeiten. Dem damaligen langjährigen 1.Vorsitzenden des Männer-Turnvereins, dem Lehrer Paul Krösing, kommt wohl das Hauptverdienst zu. Er scheute weder Arbeit und Mühe. Denn man wollte so großzügig wie irgend möglich bauen. Er fand nicht nur in den Reihen seiner aktiven jungen und alten Turner große Unterstützung sondern auch bei maßgebenden Leuten der Stadtverwaltung und bei einigen Fabrikanten, wie Hans Neumann und Richard Preuße. Unter den Turnern war nach dem 1.Vorsitzenden wohl die Haupttriebskraft der Gauturnwart Friedrich Günther. Im Jahre 1927 begann dann endlich der Bau, und ein Jahr später wurde die Turnhalle am See eingeweiht. Man stelle sich vor: etwas erhöht gelegen, am Westende über dem Erdgeschoß ein gewaltiger Balkon und von dort an jeder Seite eine balkonartige Galerie; die Länge der Halle betrug 110 Meter, die Breite 36 Meter. Im First wird sie etwa 20 Meter hoch gewesen sein. Die eigentliche Halle war so groß, daß darin Tennis gespielt werden konnte (im Winter). Neben der Halle war an der einen Seite eine Kegelbahn, an der anderen die Dusch- und Baderäume und Toiletten und Kammern für Sportgeräte. Am Ostgiebel war die Bühne mit Nebenräumen. Auch die Bühne war natürlich groß, auf der eine Militärkapelle (voll besetzt) reichlich Platz fand. Einmal, entsinne ich mich, war ein Symphonieorchester mit 120 Mann auf dieser Bühne. Am Westgiebel waren zwei Schankräume, fünf Sitzungszimmer und ein Garderobenraum, außer einer großen Vorhalle. Auch die Jugendherberge war in der Turnhalle untergebracht. Unter der Bühne war noch ein großer Bühnenkeller, der oft bei Festlichkeiten als Schankraum benutzt wurde. In der Halle waren eine Unzahl von Sportgeräten aller Art: Reck, Barren, Bock, Kasten, Pferd, Sprossenwände, Leitern, Taue, Ringe, Trapeze, Rundlauf, Sprungständer, Rhönräder. Die Halle war ohne jede Säule gebaut worden. Gegenüber der Bühne, also am Westende, war eine Empore mit vielen Sitzgelegenheiten. Der Entwurf der Halle stammte von Steiner und Peter, Neudamm, und einem Frankfurter Architekten, dessen Namen ich nicht mehr feststellen kann. Gebaut wurde sie von den Baufirmen Pirch (Maurerarbeiten) und Stambke (Zimmerarbeiten). Sonst haben aber viele andere Neudammer Handwerker mitgeholfen. Stolz am See stand nun 1928 die Halle, ein Musterbau und des Nachahmens wert. Es wurde eifrig in der Halle Sport getrieben. Das Deutsche Geräteturnen mit den Berliner Meisterturnern wurde auch hier abgehalten und dazu viele Geräte neu beschafft. Der Baupreis der Halle betrug 160 000 Reichsmark. Kaum aber war die Halle errichtet, so kamen auch die Sorgen. Die Wirtschaftslage war schlecht und wurde seit 1928 mit jedem Tage schlechter, und noch nicht die Hälfte der Baukosten waren gedeckt. Es wurde in den kommenden Jahren die Unterhaltung der Halle (Heizung, Reparaturen, Zinszahlung) eines der schwierigsten Probleme. Ohne die nimmermüde Arbeit des wackeren Hallenwarts Schmidt, der immer neue Mittel und Wege fand, wäre das Problem nicht zu lösen gewesen. Selbst nach 1933, als es wirtschaftlich wieder bergauf ging, wurden noch Stimmen laut, der Turnverein sollte Konkurs anmelden. Am Ende des Zweiten Weltkrieges betrug die Schuldenlast noch 60 000 Reichsmark. Die Halle wurde aber nicht nur zu Sportzwecken benutzt, sondern auch zu fröhlichen Feiern. Den Höhepunkt des festlichen Geschehens in Neudamm bildete immer der Maskenball des Turnvereins. Den 1.Mai feierte in der Halle der größte Neudammer Betrieb, die Druckerei und der Verlag Julius Neumann. Oft waren auch Theater und Konzerte von Wanderbühnen in ihren Räumen, und man kann wohl sagen, daß der Männer-Turnverein sie für derartige Zwecke gern und bereitwillig hergab. Die Halle fasste bis 1500 Menschen.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges lagerte man dort Schulbänke (die Schulen wurden als Lazarette verwendet) und auch wohl noch manches Andere, so u.a. viele neue Schuhe. Als die Russen kamen, ging die Halle in Flammen auf. Man sagt, daß einige junge Neudammer den Russen die Vorräte nicht überlassen wollten und die Halle anzündeten.

Uns ergreift Wehmut beim Gedanken an die Halle. Wie viele Sportler hatten darin ihren Körper gestählt! Die meisten deckt längst der Rasen. Wie viele fröhliche Stunden haben wir nicht dort alle verlebt! Einige Namen will ich doch nennen, die im Sportleben Neudamms etwas bedeuteten: Paul Krösing, Oberturnwart Schmidt, Gauturnwart Günther, Heini Becker, Meta Hinze, Trude schmidt, Fritz Liebecke, Walter Kaschade, Kurt Höhne, Herta Rackow, Otto Vogelsang, Julius Schmidt. Es müssten viel mehr genannt werden, aber die meisten Namen sind mir schon entfallen. Wünschen wollen wir aber, daß wir einst nach Neudamm zurückkehren können und daß sich dann eine jüngere Generation am Sportplatz am See tummelt wie in alter Zeit, und daß dann eine neue Halle am selben Platz ersteht.

Dieser Bericht erschien 1955 im "Königsberger Kreiskalender"